Rentnerin muss Witwenrente der letzten 18 Jahre zurückzahlen

Rentnerin muss Witwenrente der letzten 18 Jahre zurückzahlen

Ist eine Rückforderung über 18 Jahre hinweg wirklich rechtmäßig?

 

Sie äußerte sich hierzu mit Schreiben vom 22. Oktober 2018 und teilte mit, dass die Beklagte von dem Einkommen aus Beschäftigung Kenntnis habe erlangen können, da sie es bei Antragstellung schon bezogen habe. Sie habe keine falschen Angaben gemacht. Auch habe sie nie Fragebögen o.ä. zu etwaigem Einkommen übersandt bekommen. Sie habe auf die Rechtmäßigkeit der Bescheide vertraut und die erhaltenen Rentenzahlungen zum Lebensunterhalt verbraucht. Die Forderung unterliege der Verjährung.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2018 berechnete die Beklagte die Witwenrente der Klägerin für die Zeit ab dem 1. Dezember 2018 neu mit einer Höhe von 621,44 Euro brutto/554,02 Euro netto und forderte für den Zeitraum 20. November 2000 bis 30. November 2018 eine Erstattung in Höhe von 26.267,46 Euro. Sie hob nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) den Rentenbescheid vom 12. Februar 2001 in Gestalt aller seiner Folgebescheide hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise auf. Da die Klägerin bereits vor Bezug der Witwenrente geringfügig beschäftigt gewesen sei, habe sie Kenntnis von dem zu berücksichtigenden Einkommen gehabt. Die Beklagte habe die geringfügige Beschäftigung nicht kennen können, da sie dem Konto der Klägerin und nicht demjenigen ihres verstorbenen Ehemannes gemeldet worden sei. Eine Verknüpfung habe im Jahr 2000 nicht bestanden. Bei der erstmaligen Antragstellung habe ein Fragebogen zur Einkommensanrechnung ausgefüllt werden müssen, sodass der Klägerin aufgefallen sein müsse, dass in keinem ihrer Rentenbescheide die geringfügige Beschäftigung als Einkommen berücksichtigt worden sei. Die Freibeträge seien korrekt bestimmt worden. Eine Einkommensanrechnung im Sterbevierteljahr sei nicht erfolgt. Der Abzug eines fiktiven Nettoeinkommens sei nicht vorzunehmen gewesen, da es sich um eine geringfügige Beschäftigung gehandelt habe, bei der Brutto- und Nettobeitrag gleich seien und keine Beiträge abgeführt würden. Im Rahmen der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre Mitwirkungspflichten grob fahrlässig verletzt habe, indem sie das zusätzliche Einkommen nicht angegeben habe. Ein (Mit-)Verschulden der Beklagten sei nicht gegeben.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 14. November 2018 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf die Ausführungen im Schreiben vom 22. Oktober 2018. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2019 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe grob fahrlässig ihr Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung nicht angegeben. Sie sei im Ausgangsbescheid vom 12. Februar 2001 darauf hingewiesen worden, dass Erwerbseinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe habe. Sie habe daher erkennen können, dass ihr Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung Einfluss auf ihre Rentenhöhe haben könne. Sie könne sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die öffentlichen Interessen an der Rückforderung überwögen das Interesse der Klägerin an einem Bestandsschutz der Rentenbescheide. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin seien bei der Ermessensausübung nicht zu berücksichtigen, sondern erst bei der Entscheidung über die Einziehung der Forderung. Auch könne die Klägerin die Einrede der Verjährung nicht erheben, da die Verjährungsfrist des Erstattungsanspruchs erst mit dessen Unanfechtbarkeit zu laufen beginne, was bislang nicht der Fall sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 18. März 2019 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Ergänzend hat sie darauf verwiesen, dass das damalige Formular zur Beantragung der Witwenrente – im Gegensatz zum aktuellen Formular – keinen Hinweis darauf enthalten habe, dass auch geringfügige Einkommen angegeben werden müssen. Es werde auch der von der Beklagten errechnete Betrag in Frage gestellt, da die Klägerin nie ein Einkommen über 322,11 Euro monatlich erzielt haben dürfte. Da die Klägerin ihre Rente versteuert habe, sei fraglich, ob die Beklagte den vollständig überzahlten Betrag zurückfordern könne.

Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 15. November 2021 die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Der Bescheid vom 30. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Februar 2019 sei rechtmäßig und beschwere die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte sei berechtigt, den Rentenbescheid vom 12. Februar 2001 in Gestalt aller Folgebescheide mit Wirkung ab dem 20. November 2000 zurück zu nehmen und für die Zeit ab dem 1. November 2018 die Witwenrente in neu berechneter Höhe von 554,02 Euro zu zahlen und für den Zeitraum 20. November 2000 bis 31. Oktober 2018 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 26.267,46 Euro geltend zu machen. Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 30. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.Februar 2019 seien die §§ 50, 45 SGB X. Die Bewilligung einer Hinterbliebenenrente in Form einer großen Witwenrente stelle einen rechtlich erheblichen Vorteil da, sodass es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt gehandelt habe. Der Bescheid vom 12. Februar 2001 sei bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen, da bei der Berechnung der Höhe der Witwenrente das Entgelt aus der geringfügigen Beschäftigung der Klägerin bei der Prüfung der Einkommensanrechnung nicht berücksichtigt worden sei. Unter Berücksichtigung des nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI a. F. anzurechnenden, nach §§ 18a bis 18e Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zu ermittelnden, Einkommens ergebe sich ein reduzierter Zahlbetrag der Witwenrente im Zeitraum vom 20. November 2000 bis 31. Oktober 2018. Dementsprechend sei die Beklagte verfahren, wobei die Beklagte im Sterbevierteljahr keine Anrechnung von Einkommen vorgenommen habe. Die Bestimmung der Höhe des in den einzelnen Monaten anzurechnenden Einkommens und die Anrechnung in den einzelnen Monaten selbst sei von der Klägerin nicht substantiiert angegriffen worden, sondern nur pauschal behauptet worden, das Einkommen habe nie über 322,11 Euro gelegen, was jedoch nicht durch Abrechnungen, Kontoauszüge o.ä. belegt worden sei. Für das Gericht ergäben sich hieraus keine Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der Berechnungen, weshalb auf die Berechnungsunterlagen im Bescheid vom 30. Oktober 2018 Bezug genommen werde. Die Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme des rechtswidrigen Bewilligungsbescheides für die Vergangenheit seien gemäß § 45 Abs. 4 SGB X erfüllt. Hier seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X erfüllt. Der Bescheid vom 12. Februar 2001 beruhe auf Angaben, die die Klägerin grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig und unvollständig gemacht habe. Sie habe bereits im Antragsformular zur Beantragung der Witwenrente ihr Einkommen aus der geringfügigen Tätigkeit, die sie bereits seit April 1999 ausübe, nicht angegeben. Sie hätte auch erkennen müssen, dass die fehlende Anrechnung dieser Tätigkeit zu einer Rechtswidrigkeit des Bescheides führen müsse. Zudem sei der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts unter den gegebenen Umständen eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße vorzuwerfen, wenn sie den teilweisen Wegfall des Hinterbliebenenrentenanspruchs nicht erkannt haben sollte. Bereits in dem Antragsformular zur Witwenrente sei ausdrücklich aufgeführt worden, dass Arbeitsentgelt aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis anzugeben sei. Dies habe die Klägerin, die zum Zeitpunkt der Antragstellung im Dezember 2000 bereits seit mehr als eineinhalb Jahren eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt habe, wahrheitswidrig mit „nein“ angegeben. Spätestens im Bewilligungsbescheid vom 12. Februar 2001 hätte der Klägerin auffallen müssen, dass Einkommen Einfluss auf die Höhe der Witwenrente habe. Dort sei ausdrücklich unter „Mitteilungspflichten“ ausgeführt, dass sich erzieltes Arbeitsentgelt auf die Höhe der Rente auswirken könne. Auch sei sie darauf hingewiesen worden, dass Einkommen stets unverzüglich mitzuteilen sei. Insoweit überzeuge die Argumentation der Klägerin nicht. Sie hätte bei Antragstellung klären könne, ob ihr Arbeitsentgelt anzugeben sei. Auch der Verweis auf die geänderten Formulare der Beklagten ändere hieran nichts. Bereits vor der Änderung sei das Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung unter den Begriff „Arbeitsentgelt“ gefallen, sodass die Erwähnung in dem neuen Formular nichts an der maßgeblichen Rechtslage geändert habe. Schließlich sei die von der Beklagten getätigte Ermessensausübung nicht zu beanstanden. Das Gericht sei hierbei auf die Prüfung von Ermessensfehlern beschränkt. Die Beklagte habe unter Würdigung der von der Klägerin vorgebrachten Argumente das eingeräumte Ermessen innerhalb des ihr zustehenden Spielraums unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm betätigt und dabei alle abwägungsrelevanten Belange öffentlicher und privater Interessen geprüft. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Witwenrentenakte keinerlei Hinweise darauf hergebe, dass die Klägerin jemals Mitteilungen über ihre Beschäftigung und die Höhe ihrer Verdienste gemacht habe. Für die Beklagte habe es daher keinen Anlass gegeben, die Bescheide über Bewilligung der Witwenrente zu überprüfen. Zu Recht sei die Beklagte bei ihrer Ermessensausübung davon ausgegangen, dass sie kein Mit- verschulden treffe. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, regelmäßig das Konto eines Verstorbenen, aus dem die Witwenrente gezahlt werde, mit dem Konto der Witwe zu verknüpfen. Denn die primäre Verpflichtung zur Einkommensanzeige obliege allein der Klägerin. Die Beklagte habe im Zusammenhang mit ihrer Aufhebungsentscheidung alle relevanten Fristen eingehalten. Da der Ausgangsbescheid auf den 12. Februar 2001 datiere, decke die Frist von zehn Jahren nur einen Zeitraum bis zum Jahr 2008 ab (gerechnet ab 2018). Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X könne in den Fällen des Satzes 3 ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt worden sei. Da die Klägerin die Witwenrente seit dem Jahr 2001 laufend monatlich in Form von Überweisungen erhalte, sei diese Voraussetzung erfüllt. Die Beklagte habe auch die Einjahresfrist in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Die Beklagte habe erstmals im Juni 2018 im Rahmen einer Überprüfung Kenntnis davon erlangt, dass das Einkommen der Klägerin aus geringfügiger Beschäftigung nicht angerechnet worden sei. Bereits im Oktober 2018 habe sie den entsprechenden Rückforderungsbescheid erlassen und damit in jedem Fall die Jahresfrist eingehalten. Die in dem streitigen Bescheid enthaltene Erstattungsforderung sei ebenfalls rechtmäßig. Berechnungsfehler seien weder geltend gemacht noch für das Gericht erkennbar. So habe die Beklagte keine Anrechnung im Sterbevierteljahr (Dezember 2000 bis einschließlich Februar 2001) vorgenommen sowie zu Recht darauf hingewiesen, dass eine pauschalierte Nettoberechnung bei einem Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung nicht vorzunehmen sei, da Brutto- und Nettobetrag gleich seien. Auch habe sie die Freibeträge berücksichtigt, wobei keine Hinweise vorlägen, die für eine fehlerhafte Berücksichtigung sprächen. Die Frage der Steuerpflicht sei außer Betracht zu lassen, da dies das Verhältnis der Klägerin mit dem Finanzamt und nicht mit der Beklagten betreffe. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Verjährung berufen. Zu Recht habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Erstattungsanspruch gemäß § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähre, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Unanfechtbarkeit sei noch nicht eingetreten, sodass die Frist zur Verjährung noch nicht begonnen habe.

Die Klägerin hat gegen den ihrer Prozessbevollmächtigten am 18. November 2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 14. Dezember 2021 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass es nicht zutreffend sein könne, dass die Beklagte 18 Jahre keine Kenntnisse von dem Nebeneinkommen gehabt habe, da die Klägerin dieses schon seit 1999 beziehe. Die Klägerin habe die Fehlerhaftigkeit des Bescheides auch nicht gekannt oder kennen müssen. Einen Fragebogen zur Einkommenserzielung habe sie nie erhalten und auch nie gegenüber der Beklagten falsche Angaben gemacht. Die Klägerin habe den Antrag auf Hinterbliebenenrente gemeinsam mit einer Mitarbeiterin der Beklagte gestellt. Das damalige Formular R660 der BfA habe nicht den Hinweis darauf enthalten, dass geringfüge Einkommen angegeben werden müssten. Unter dem Punkt "Arbeitsentgelt" sei die geringfügige Beschäftigung nicht benannt gewesen. Heute enthalte das Formular der Beklagten R0600 ausdrücklich den Hinweis " - gegebenenfalls auch geringfügige - Beschäftigungsverhältnisse". Von einer groben Fahrlässigkeit könne daher nicht die Rede sein. Die Klägerin habe auf die Rechtmäßigkeit der Bescheide vertraut und die bezogene Rente verbraucht. Die Forderung unterliege im Großteil der Verjährung.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15.November 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2019 insoweit aufzuheben, als die Rentengewährung im Zeitraum vom 20. November 2000 bis 30. November 2018 teilweise aufgehoben und eine Erstattung in Höhe von 26.267,46 Euro gefordert wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die erstinstanzliche Entscheidung. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten worden.

Der Senat hat durch Beschluss vom 11. Mai 2022 die Berufung auf die Berichterstatterin übertragen.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird im Übrigen auf die Gerichtsakte und die die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 11. Mai 2022 gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung der Klägerin in der Besetzung mit der Berichterstatterin und zwei ehrenamtlichen Richtern eine Entscheidung treffen.

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist aber unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. November 2021 ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid vom Bescheid vom 30. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2019 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG.

Die Beklagte war berechtigt, den Rentenbescheid vom 12. Februar 2001 in der Fassung aller Folgebescheide hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben und von der Klägerin nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X die Erstattung von insgesamt 26.267,46 Euro zu verlangen. Die gleichzeitig verfügte teilweise Aufhebung der Rentenhöhe für die Zukunft ab dem 1. Dezember 2018 ist nach einer entsprechenden Klarstellung der Klägerin im Schriftsatz vom 11. November 2022 nicht streitgegenständlich und daher bestandskräftig. Zwischenzeitlich hat die Klägerin im Mai 2022 die Tätigkeit auch aufgegeben und erzielt kein Einkommen mehr.

Rechtsgrundlage der teilweisen Aufhebung des Rentenzahlbetrages ab März 2001 ist § 45 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Dabei ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X allerdings nicht berufen, soweit

1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Der Rentenbescheid vom 12. Februar 2011 und alle Folgebescheide waren schon anfänglich hinsichtlich der Rentenhöhe zum Zeitpunkt ihres jeweiligen Erlasses rechtswidrig. Die Witwenrente der Klägerin wurde durch Bescheid vom 12. Februar 2011 ohne Anrechnung von Einkommen in Form des Arbeitsentgelts ab dem 20. November 2000 in Höhe von zunächst 2.468,19 DM während des Sterbevierteljahres und sodann ab dem 1. März 2001 in Höhe von 1.152,99 DM unter Anrechnung der Altersrente der Klägerin gewährt. Die Klägerin hatte zwar grundsätzlich einen Anspruch auf Witwerrente. Unter Berücksichtigung des nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI anzurechnenden und des nach §§ 18a bis 18e SGB IV zu ermittelnden Einkommens ergab sich jedoch ein reduzierter Zahlbetrag der Witwenrente im Zeitraum ab dem 1. März 2001 (nach dem Sterbevierteljahr). Die Bestimmung der Höhe des in den einzelnen Monaten anzurechnenden Einkommens und die Anrechnung in den einzelnen Monaten selbst wurde von der Klägerin nicht substantiiert angegriffen. Auch für den Senat ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit dieser Berechnungen, weshalb auf die Berechnungsunterlagen in dem Bescheid vom 30. Oktober 2018 Bezug genommen wird.

Die Klägerin kann sich gegenüber der Rücknahme von vornherein nicht auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X berufen, weil einer der Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorlag, der die Notwendigkeit einer Abwägung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ausschließt. Denn zur Überzeugung des Senats hätte die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Rentenbescheide ab dem 1. März 2001 erkennen müssen und handelte grob fahrlässig (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 1. Halbsatz SGB X). Ob eine betroffene Person die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen, d.h. es ist bei der Beurteilung ein subjektiver Maßstab anzulegen (BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 7a AL 14/05 R). Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchtet; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSG, Urteile vom 26. August 1987, 11a RA 30/86; vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R m.w.N. - ständige Rechtsprechung). Auf dieser Ebene besteht die erforderliche Kenntnis, wenn der Begünstigte weiß oder wissen muss, dass ihm die zuerkannte Leistung oder anderweitige Begünstigung so nicht zusteht (vgl. Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 45 Rn. 55). Daher kann einem Leistungs- empfänger immer nur dann grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, wenn ihm der Fehler bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu "in die Augen springt". Das ist der Fall, wenn er aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen sicher die Rechtswidrigkeit hätte erkennen können (vgl. BSG, Urteil vom 26. August 1987, 11a RA 30/86) oder er das nicht beachtet hat, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1980, 7 RAr 13/79). Augenfällig im vorstehenden Sinne sind Fehler zunächst, wenn die Begünstigung dem Verfügungssatz nach ohne weitere Überlegungen als unzutreffend erkannt werden kann. Darüber hinaus ist der Begründung des Verwaltungsaktes nach ein Fehler augenfällig, wenn die Fehlerhaftigkeit dem Adressaten unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ohne weitere Nachforschungen und mit ganz naheliegenden Überlegungen einleuchten und auffallen muss (vgl. Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 45 Rn. 56, 57). Für den Versicherten besteht eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, B 13 R 77/09 R). Denn die Beteiligten haben sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren (vgl. BSG, Urteile vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R; vom 1. Juli 2010, B 13 R 77/09 R; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 12. März 2002, L 12 RJ 32/01).

Daran gemessen ist der Klägerin zur Überzeugung des Senats unter den gegebenen Umständen eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße vorzuwerfen, wenn sie die Rechtswidrigkeit der Höhe des Hinterbliebenenrentenanspruchs nicht erkannt haben sollte. Sie verletzte die gebotene Sorgfalt, die von ihr erwartet werden konnte und musste, in besonders schwerem Maße, weil sie einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellte, vielmehr davon ausging, dass die Bewilligung der Witwenrente trotz Bezuges eines Arbeitsentgelts neben der Altersrente weiterhin zu Recht erfolgt war. Die Klägerin hätte zur Überzeugung des Senats zumindest wissen müssen, dass jedes erzielte Einkommen auf die Witwenrente angerechnet werden muss. Aus dem Rentenbescheid vom 12. Februar 2011 und den Folgebescheiden ergab sich ohne weiteres, dass lediglich die Altersrente als Einkommen angerechnet worden war. Die Formulierung in der Anlage 8 zum Rentenbescheid vom 12. Februar 2001 ist eindeutig: „Die Rente trifft mit Einkommen zusammen. (...) Das monatliche Einkommen ist aus dem Erwerbsersatzeinkommen für Nov. 2000 zu ermitteln. Erwerbsersatzeinkommen ist die Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.“ Gleichwohl erhielt die Klägerin in dem Rentenantragsformular und dem Rentenbescheid den Hinweis, dass ein Zusammentreffen der Hinterbliebenenrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen zur Anrechnung von Einkommen führen kann. Daran ändert es nichts, dass im Rentenantragsformular nur allgemein nach Arbeitsentgelt gefragt wurde, ohne dass ein solches aus geringfügiger Beschäftigung ausdrücklich aufgeführt war. Eines besonderen sozialversicherungsrechtlichen Wissens bedurfte es nicht, um zu erkennen, dass es sich bei einem Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung um ein Arbeitsentgelt handelt. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin in der streitgegenständlichen Beschäftigung als Buchhalterin in einer Hausverwaltung tätig war. Der Umgang mit Schriftstücken und Zahlenwerken war ihr mithin vertraut. Letztlich hat die Klägerin auch angegeben, dass sie zur Beantragung der Witwenrente eine Beratung der Beklagten in Anspruch genommen hatte, in deren Rahmen eine Nachfrage hinsichtlich ihres Arbeitsentgelts als anrechenbares Einkommen möglich gewesen wäre. Zu einer solchen Nachfrage wäre sie auch verpflichtet gewesen. Da die Klägerin hätte wissen können, wenn sie die gebotene Sorgfalt angewendet hätte, dass das Arbeitsentgelt sich auf die Höhe der Rente auswirken wird, hätte ihr sodann auch auffallen müssen, dass die Rentenhöhe fortlaufend und jahrelang unverändert blieb und lediglich die Altersrente angerechnet worden war. Ergänzend verweist der Senat in diesem Zusammenhang auf die ausführliche Begründung des Sozialgerichts in der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten Maßstäbe ist der Klägerin zur Überzeugung des Senats unter den gegebenen Umständen eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße vorzuwerfen, da bei ihr zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Rentenbescheide vorlag.

Ebenso ist die Klägerin zur Überzeugung des Senats im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB X zumindest grob fahrlässig ihrer Pflicht zur Mitteilung des Bezugs eines Arbeitsentgelts nicht nachgekommen. Die Hinweise in dem Rentenantragsformular waren insoweit klar, verständlich und eindeutig. Daran ändert es nichts, dass das Formular später geändert wurde, denn dies konnte die Klägerin nicht wissen, so dass sich aus einem Vergleich der Formulare für die individuelle Kenntnis oder das Kennenmüssen der Klägerin bei Rentenantragstellung nichts herleiten lässt. Außerdem hätte sie innerhalb der Beratung bei Rentenantragstellung nachfragen müssen, ob dieses Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung anzugeben ist. Da die Klägerin nicht geltend macht, dass sie falsch beraten wurde, kann dies letztlich nur bedeuten, dass sie dieses Einkommen in der Beratungssituation vollständig verschwiegen hatte, was einen Verstoß gegen die gebotene Mitteilungspflicht darstellt. Diese Pflicht entfällt nicht wegen einer (theoretischen) Möglichkeit der Kenntnisnahme der Beklagten von dem Arbeitsentgelt durch Information mittels Kontenverknüpfung.

Das nach § 45 Abs. 1 SGB X im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme auszuübende Ermessen hat die Beklagte ohne Fehler betätigt. Für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung ist es gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) erforderlich, dass der Verwaltungsträger sein Ermessen überhaupt betätigt und er es entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens ausübt. Korrespondierend hierzu hat der von der Ermessensentscheidung Betroffene einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Nur in diesem - eingeschränkten - Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung nach Maßgabe des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG der gerichtlichen Kontrolle auf Ermessensfehler. Rechtswidrig können Verwaltungsakte demnach nur in den Fällen des Ermessensfehlgebrauchs (entweder in Gestalt des Ermessensnichtgebrauchs oder in Gestalt der Ermessensüberschreitung) sein (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994, 4 RA 42/94). Die Frage, ob und in welcher Weise Ermessen ausgeübt wurde, beurteilt sich nach dem Inhalt des Rücknahmebescheides, insbesondere nach seiner Begründung (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Diese muss erkennen lassen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, und sie muss darüber hinaus grundsätzlich auch diejenigen Gesichtspunkte aufzeigen, von denen der Verwaltungsträger bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Dafür ist zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessenentscheidung im Ergebnis stützen möchte (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013, B 12 R 14/11 R).

Diesen Anforderungen entspricht die Ermessensausübung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden. Die Beklagte hat unter Würdigung der von der Klägerin vorgebrachten Argumente das eingeräumte Ermessen innerhalb des ihr zustehenden Spielraums unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm betätigt und dabei alle abwägungsrelevanten Belange öffentlicher und privater Interessen geprüft. Die Beklagte hat erläutert, dass es nicht zu einer Kontenverknüpfung zwischen ihrem Versichertenkonto und demjenigen des verstorbenen Ehemannes der Klägerin kam. Ein Mitverschulden der Beklagten lässt sich hieraus aus Sicht des Senats nicht ableiten. Erst Recht besteht wegen dieser nicht erfolgten Mitteilung keine Ermessenreduzierung auf Null, so dass eine Aufhebung der Erstattungsforderung durch den Senat nicht erfolgen kann. In der Behandlung dieses Aspekts durch die Beklagte im Rahmen des Ermessens vermag der Senat auch keinen Ermessensfehler zu erkennen. Die Beklagte hat sich ausführlich mit diesem auseinandergesetzt und ihr eigenes Verhalten in das Verhältnis zum Verhalten und der Kenntnis der Klägerin gesetzt. Sie hat diesbezüglich das jahrelange Schweigen der Klägerin trotz der klaren Hinweise aus den Rentenbescheiden über die Einkommensanrechnungsregelungen dergestalt bewertet, dass im Rahmen des Ermessens nicht auf einen Teil der Forderung zu verzichten sei. Diese Abwägung ist ermessensfehlerfrei erfolgt. Selbst das Vorliegen eines Mitverschuldens oder gar eines alleinigen Verschuldens des Rentenversicherungsträgers bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Umfang der Bescheidrücknahme und damit die Höhe der Überzahlung zu reduzieren ist (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013, B 12 R 14/11 R). Vielmehr sind auch bei einem Mitverschulden durchaus Fälle denkbar, in denen andere Ermessensgründe - insbesondere ein überwiegendes öffentliches Interesse der Versichertengemeinschaft an der Korrektur rechtswidriger Verwaltungsentscheidungen – so schwer wiegen, dass dennoch eine vollumfängliche Bescheidrücknahme als geboten erscheinen kann (Hessisches LSG, Urteil vom 26. Oktober 2012, L 5 R 111/12). Das Entstehen einer unbilligen (wirtschaftlichen) Härte als Folge der Rücknahme der Rentenbewilligung hat die Beklagte, weil die Klägerin bei ihrer Anhörung keine Gründe für eine unangemessene wirtschaftliche Belastung vorgetragen hat, zu Recht verneint. Weitere Ermessensgesichtspunkte, die die Beklagte fehlerhaft nicht mit einbezogen hätte, sind für den Senat nicht erkennbar.

Die Beklagte hat im Zusammenhang mit ihrer Aufhebungsentscheidung alle relevanten Fristen eingehalten. Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X kann in den Fällen des Satzes 3 ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Als „Zahlung einer laufenden Geldleistung“ im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X ist zum einen der tatsächliche Zufluss von Geldmitteln entweder in Form von Bargeld oder durch bargeldlose Überweisung zu verstehen. Darüber hinaus gilt eine Rente auch dann als „gezahlt“ wenn sie zu Beginn des maßgeblichen Aufhebungsverwaltungsverfahrens zwar nicht mehr tatsächlich zufließt, jedoch zu diesem Zeitpunkt noch kein bestandskräftiger Verwaltungsakt vorlag, der das Ende der Rentenzahlung verfügt. Allein das Bestehen eines sogenannten Rentenstammrechts gilt hingegen nicht als „Zahlung einer Geldleistung“ im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X. Die Klägerin hat die Witwenrente bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens bezüglich der Aufhebung im Jahr 2018 bezogen, sie bezieht sie auch weiterhin. Da die Klägerin die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X erfüllt (siehe oben), sind alle erforderlichen Anforderungen gegeben; die maßgebliche Frist für die Aufhebung ist eingehalten. Die Zehnjahresfrist war auch am 15. April 1998 noch nicht abgelaufen (§ 45 Abs. 3 Satz 5 SGB X).

Schließlich ist auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Danach muss eine Behörde den Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dann, wenn er mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsache zurücknehmen, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigt. Die Frist beginnt zu laufen, sobald dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind.

Zur Kenntnis der Tatsachen gehören alle Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden. Der Umfang der Kenntnis der T atsachen richtet sich nach dem T atbestand der Aufhebungsnorm. Im Fall der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts setzt diese voraus, dass die Behörde nicht nur Kenntnis der Tatsachen hat, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ergibt, sondern auch sämtliche für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig kennt (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2008, B 13 R 23/07 R). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie ihrer systematischen Stellung in Absatz 4. Da eine Rücknahme für die Vergangenheit schon tatbestandlich nur unter den zusätzlichen Anforderungen des Absatzes 4 Satz 1 zulässig ist, muss sich die Kenntnis der Behörde jedenfalls auch auf die Umstände nach Absatz 2 Satz 3 beziehen. Für den Fristbeginn ist also auch die Kenntnis der sog. inneren Tatsachen erforderlich (BSG, Urteile vom 25. April 2002, B 11 AL 69/01 R; vom 25. Oktober 1995, 5/4 RA 66/94; Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 04/18, § 45 SGB X, Rn. 148). Dies ist regelmäßig erst nach der durchgeführten Anhörung des Betroffenen der Fall (BSG, Urteile vom 8. Februar 1996, 13 RJ 35/94; vom 6. März 1997, 7 RAr 40/96; und vom 27. Juli 2000, B 7 AL 88/99 R). Diese Gesetzesauslegung darf jedoch nicht dazu führen, dass die Behörde durch Verzögern der Anhörung den Beginn der Jahresfrist hinausschieben kann. Die für die Rücknahme zuständige Behörde darf nicht durch ständig neue Ermittlungen den Fristbeginn beliebig hinauszögern. Ebenso wenig sind überflüssige Ermittlungen geeignet, den Fristbeginn hinauszuschieben (BSG, Urteil vom 8. Februar 1996, 13 RJ 35/94). Andererseits reicht ein bloßes Kennenmüssen für den Fristbeginn nicht aus, auch wenn die Verschaffung positiver Kenntnis fahrlässig unterbleibt (BSG, Urteil vom 21. März 1990, 7 RAr 112/88). Andernfalls würde entgegen dem Gesetzeswortlaut ein schuldhaftes Unterlassen mit positiver Kenntnis gleichgestellt. Etwas Anderes kann lediglich dann gelten, wenn die Verschaffung positiver Kenntnis gleichsam rechtsmissbräuchlich unterbleibt (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Oktober 2011, L 3 AS 537/09; Steinwedel in: Kasseler Kommentar, SGB X, § 45 Rn. 29).

Die maßgebliche Kenntnis von allen Tatsachen hatte die Beklagte erst nach Durchführung der Anhörung, denn erst danach waren ihr alle Umstände bekannt, die für die Feststellungen zur groben Fahrlässigkeit oder zum Ermessen notwendig waren. Aus der Tatsache, dass es nicht zu einer Mitteilung über den Bezug des Arbeitsentgelts aus dem Konto der Klägerin kam, ergibt sich keine rechtsmissbräuchliche Unterlassung der Verschaffung einer Kenntnis.

Die in dem streitigen Bescheid enthaltene Erstattungsforderung ist ebenfalls rechtmäßig. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist Voraussetzung für die Rückforderung der für die Zeit ab 1. März 2001 überzahlten Witwenrente, dass der sie bewilligende Verwaltungsakt (teilweise) aufgehoben wurde und der Rechtsgrund für diese Leistung dadurch nachträglich entfallen ist. Das ist hier der Fall. Berechnungsfehler sind weder geltend gemacht noch für den Senat erkennbar. Der Erstattungsanspruch ist schließlich auch nicht verjährt, da Verjährung nach § 50 Abs. 4 SGB X erst vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erstattungsbescheid unanfechtbar geworden ist, geltend gemacht werden kann. Dieser Umstand ist aufgrund des vorliegenden Verfahrens offensichtlich noch nicht eingetreten.

Die Berufung der Klägerin war zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

I. Instanz: Sozialgericht Frankfurt, Gerichtsbescheid vom 15.11.2021, Az.: S 6 R 113/19

II. Instanz: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 15.11.2022, Az.: L 2 R 277/21

 

Kommentar

Ungeachtet der Frage, wie die Formulare der Deutschen Rentenversicherung gestaltet sind und die Klägerin extra einen persönlichen Termin zur Antragstellung bei einer Mitarbeiterin der Deutschen Rentenversicherung vereinbart hat um keine Fehler bei der Antragstellung zu machen, muss man generell in erstliche Zeifel stellen, ob es rechtmäßig sein kann, dass die Deutsche Rentenversicherung dazu berechtigt ist, eine Rückforderung über einen Zeitraum von 18 Jahre vorzunehmen. Immerhin hat die Klägerin in den vergangenen Jahren mit dem Einkommen ihren Lebensunterhalt bestritten und dieses Einkommen auch im Rahmen der Einkommenssteuer versteuert. Auch liegt der Rückforderungszeitraum von 18 Jahren weit über jeglichen gesetzlichen Verjährungsregelungen. Die Regelverjährung liegt bei drei Jahren, die sozialrechtliche Verjährung bei vier Jahren und die Verjährungsfrist von zehn Jahren liegt nur bei vorsätzlichen Taten vor. Mithin ist das Zeitfenster, welches der Gesetzgeber hier der Deutschen Rentenversicherung für eine Rückerstattung offen gelassen hat, mehr als überdurchnittlich weit geöffnet. Ganz zum Nachteil der Versicherten, die überdies ihre Ansprüche gegenüber der Deutschen Rentenversicherung nur bis maximal vier Jahre rückwirkend gelten machen können.

 

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Sie müssen den Widerspruch innerhalb eines Monats einlegen. Die Frist beginnt an dem Tag, an dem Ihnen der Bescheid zugestellt wurde.

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Es ist Sorge dafür zu tragen, dass der Widerspruch fristgerecht bei der Behörde eingeht. Achten Sie darauf, dass Sie den Zugang bei der Behörde auch belegen können. Wenn Sie Ihren Widerspruch mit der Post schicken, sollten Sie dies per Einschreiben tun. Falls Sie Ihr Widerspruchsschreiben persönlich bei der Behörde abgeben, lassen Sie sich den Empfang quittieren. Bei einem zur Niederschrift der Behörde eingelegten Widerspruch lassen Sie sich eine Kopie der Niederschrift geben.

Ebenso sieht das Gesetz vor, dass Sie Ihren Widerspruch auch in elektronischer Form erheben können. Dies gilt aber nur, wenn die Ausgangsbehörde dafür einen Zugang eröffnet. Außerdem müssen Sie bei der Einlegung des Widerspruchs die speziellen Vorschriften über die elektronische Kommunikation mit Behörden beachten.

Eine einfache E-Mail genügt nicht der Schriftform!

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