Long COVID und die mangelnde Kostenübernahme der Krankenkasse

Long COVID und die mangelnde Kostenübernahme der Krankenkasse

Kein Anspruch auf Behandlung von Long-Covid mit einer hyperbaren Sauerstofftherapie

 

Am 23.06.2021 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) zur Linderung der Lungenprobleme und Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Der Kläger legte hierzu einen Bericht des Hyperbaren Sauerstoffzentrums M-Stadt bei, welches die Erfolge dieser Therapie im Einzelnen darlegte. Es werde eine Kostenübernahme für 15 Sitzungen befürwortet.

Die Beklagte legte den Sachverhalt ihrem Medizinischen Dienst (MDK) zur Stellungnahme vor. Der MDK äußerte sich am 01.07.2021 dahingehend, dass weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung bzw. gleichgestellte Erkrankung vorliege und die Behandlung schlichtweg symptombezogen zu erfolgen habe. Eine Evidenz des Nutzens der HBO bei Long-Covid-Syndrom sei nicht verfügbar.

Mit Bescheid vom 06.07.2021 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die Therapie mit HBO ab, da es sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung handele. Insbesondere sei die HBO ausdrücklich vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) ausgeschlossen worden.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger dahingehend, dass der Beschluss des GBA aus dem Jahr 2000 stamme und damit zu einem Zeitpunkt, als LongCovid nicht aktuell gewesen sei. Bis eine Studie vorliege, würden außerdem zwei bis drei Jahre vergehen. Er habe sich bereits einen Monat lang in Rehabilitation in Heiligendamm befunden, was ihn jedoch nicht geheilt habe. Es gebe kein zugelassenes Arzneimittel zur Behandlung von LongCovid. Lediglich die Uniklinik Erlangen forsche aktuell. Der MDK schlage hiernach Therapien ohne Evidenz vor. Die Behandlung der akuten Erkrankung sei schließlich auch, selbst ohne lebensgefährlichen Verlauf, ohne wissenschaftliche Nachweise finanziert worden. Unter Verweis auf einen Bericht der Ostsee-Zeitung sehe er einen Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG). Der Bescheid sei evident unsachlich, da der Antrag nicht im Ansatz geprüft werde. Nach dem Jahr 2000 habe der GBA im Übrigen schon mehrere Beschlüsse zum diabetischen Fußsyndrom und HBO gefasst, die dem Beschluss aus dem Jahr 2000 entgegenstünden. Ein weiteres Festhalten an dem Beschluss widerspreche auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), welches diesen bereits als "objektiv willkürliche Entscheidung" benannt habe. Der Beschluss entspreche nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Der GBA habe eine indikationsbezogene Entscheidung unterlassen. Der Beschluss müsse neu beraten werden und könne nicht länger Bestand haben. Es liege eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 und 3 GG vor.

Die Beklagte holte hierauf eine weitere Stellungnahme des MDK ein, der sich mit Datum vom 20.07.2021 äußerte. Selbst wenn sich die Therapie mit HBO bei vielen Erkrankungen im klinischen Alltag seit einigen Jahren etabliert habe, so sei diese zu Lasten der GKV lediglich beim diabetischen Fußsyndrom zugelassen. Eine Leistungsgewährung komme daher nur nach den Grundsätzen von § 2 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Eine notstandsähnliche Situation liege aber nicht vor. Zwar sei nachvollziehbar, dass es sich um schwerwiegende, die Lebensqualität einschränkende Symptome handele, dies reiche aber nicht aus. Die Spätsymptome von Covid-19 seien noch sehr unspezifisch, auch in Bezug auf bleibende Schäden. Eine kausale Therapie sei trotz intensiver Forschung bislang noch nicht bekannt. Den Unterlagen könne nicht entnommen werden, dass der Kläger einer Post-COVID-Ambulanz angebunden ist, sowie die Möglichkeiten von Ergo- und Physiotherapie ausgeschöpft sind. Nachdem erste Fälle von Long-Covid mit HBO behandelt worden seien, mache die HBO Hoffnung auf Heilung und Symptomverbesserung. Ob dies allerdings die generelle Lösung darstelle, werde aktuell noch intensiv beforscht. Die HBO könne aktuell nur im Sinne eines Heilungsversuches bzw. durch Teilnahme an einer Studie zum Tragen kommen. Eine Leistungsübernahme zu Lasten der GKV komme nicht in Betracht.

Die Beklagte wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2021 als unbegründet zurück und verwies auf die Inhalte des MDK-Gutachtens.

Am 28.09.2021 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und begehrt weiter die Kostenübernahme für die HBO zu Lasten der Beklagten. Die Therapie habe bislang nicht stattgefunden. Der Kläger wiederholt umfangreich seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Er ergänzt nochmals, dass der Beschluss des GBA 21 Jahre alt sei. Für neue Erkrankungen sei das aktuelle System für Therapien gänzlich ungeeignet. Bis eine Studie konzipiert und ausgewertet sei, würden zwei bis drei Jahre vergehen. Er sei aber aktuell schwer an Long Covid erkrankt und könne nicht mehrere Jahre abwarten. Selbst die akute Covid-Erkrankung sei ohne jeden wissenschaftlichen Nachweis finanziert worden. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege vor. [...]

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die vor dem zuständigen Gericht erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), deren Entscheidung im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG ergeht, ist zulässig.

Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Behandlung seiner Symptome aus Long-Covid mit HBO als Leistung der GKV.

Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst jedoch nur solche Leistungen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V).

Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat und der Bewertungsausschuss sie zudem zum Gegenstand des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM) gemacht hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 iVm § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, Urteil vom 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 Rn. 13). Die Krankenkassen sind deshalb nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben (vgl, BSG, Urteil vom 3.7.2012 - B 1 KR 6/11 R Rn 16). Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat (vgl. BSG, Urteile vom 3.7.2012 - B 1 KR 6/11 R Rn 16; vom 28.3.2000 - B 1 KR 11/98 R Rn 12).

Eine derartige Empfehlung des GBA liegt für die HBO unstreitig nicht vor, vielmehr hat der GBA die Behandlung mit HBO mit Beschluss vom 11.04.2000 grundsätzlich abgelehnt und aktuell nur für das diabetische Fußsyndrom überhaupt zugelassen.

Ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Therapie nach der gesetzlichen Konzeption beansprucht werden kann, liegt nicht vor. Weder handelt es sich um einen sogenannten Seltenheitsfall, der sich systematischer Erforschung entzieht (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.8.2008 - L 3 KA 484/03 Rn 48), noch sind die Voraussetzungen eines sogenannten Systemversagens erfüllt. Danach kann ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. In solchen Fällen ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl. BSG, Urteil vom 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 R Rn 17 mwN).

Unstreitig werden die Folgen von LongCovid bereits umfassend wissenschaftlich erforscht, nachdem diese Art der Erkrankung aber erst seit etwa Mitte 2020 überhaupt existiert, kann hier von einem Systemversagen keine Rede sei. Außerdem findet eine systematische Erforschung über mehrere Covid-Zentren tatsächlich statt.

Ein Leistungsanspruch könnte sich hiernach lediglich über § 2 Abs. 1a SGB V ergeben, dessen Voraussetzungen vorliegend aber nicht erfüllt ist.

Hiernach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Vorliegend scheitert ein möglicher Anspruch bereits daran, dass es an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung im Fall des Klägers mangelt.

Unstreitig erkrankte der Kläger im März 2020 an COVID-19 und leidet bis zum heutigen Tag an Spätfolgen dieser Erkrankung, dem sog. Long Covid. Maßgebliche Erkrankungsfolgen sind hier anhaltende schmerzhafte Myalgien und kognitive Einschränkungen ohne fassbares neurologisches Korrelat. Diesbezüglich haben sich auch die behandelnden Ärzte des Klägers im Rahmen der gerichtlichen Ermittlung geäußert.

Nach Dr. B. besteht eine rheuma-assoziierte respiratory Bronchiolitis. Es bestehen zunehmende belastungsunabhängige Myalgien in beiden Oberarmen und Oberschenkeln sowie anhaltende Schmerzen in beiden Kniegelenken seit der Covid Erkrankung im März 2020. Vor vielen Jahren hatte eine Borreliose bestanden, behandelt mit Antibiotika. Aktuell ergab sich indes kein Hinweis auf das Vorliegen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung. Nach Dr. K. ergab die Bronchoskopie eine interstitielle Pneumonie, weshalb eine medikamentöse Therapie eingeleitet worden ist. Lungenfunktionell war ein Normalbefund festzustellen. Die Fortführung der medikamentösen Behandlung wurde empfohlen. Im Rahmen der stationären Behandlung im Uniklinikum A-Stadt konnte keine neurologische Auffälligkeit festgestellt werden.

In der Gesamtheit ist hier festzustellen, dass beim Kläger ohne Zweifel Spätfolgen der Covid-Erkrankung festzustellen sind, allerdings bei Weitem nicht in einem Ausmaß, dass die Einschränkungen wertungsmäßig einer sonst tödlich verlaufenden Erkrankung gleichstehen würden. Diesbezüglich wird auch auf die umfassenden Ausführungen des MDK in seiner Stellungnahme vom 20.07.2021 verwiesen, welcher die gesundheitliche Situation treffend darstellt.

Vor diesem Hintergrund kommt es auf die beiden weiteren Prüfpunkte nicht streitentscheidend an.

Lediglich ergänzend wird diesbezüglich ausgeführt, dass wohl auch nicht davon auszugehen ist, dass die bisherige Behandlung komplett ausgeschöpft wurde. Auch diesbezüglich wird auf die umfassende Stellungnahme des MDK vom Juli 2021 verwiesen, wonach bislang keine Anbindung an ein Post-Covid-Zentrum erkennbar ist und auch keine Ausschöpfung ergo- und physiotherapeutischer Leistungen. In Anbetracht der bisherigen Behandlungen, insbesondere aus den stationären Aufenthalten ist im Übrigen eine Verbesserung des Gesundheitszustandes seit März 2020 sehr wohl zu entnehmen, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch bei Fortführung konservativer symptombezogener Therapien noch eine weitere Verbesserung erreicht werden kann.

Betreffend die Studienlage der HBO wäre ein Anspruch dagegen wohl zu bejahen gewesen, nachdem hier erste Behandlungen mögliche Erfolge nicht ausschließen lassen. Aufgrund der Verneinung von Punkt 1 und 2 der nötigen Voraussetzungen muss hierauf indes nicht näher eingegangen werden.

Zusammenfassend verbleibt es aufgrund der fehlenden Bejahung aller Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V dabei, dass die Klage abzuweisen war.

Die Kostenfolge basiert auf § 193 SGG.

1. Instanz SG Augsburg (FSB), Aktenzeichen S 3 KR 397/21, Datum 2. Instanz Bayerisches LSG, Aktenzeichen L 12 KR 251/22, Datum 3. Instanz Bundessozialgericht, Aktenzeichen B 1 KR 82/22 B, Datum

 
 

Expertentipp

Wenn Sie mit einer Entscheidung einer Behörde oder einer Krankenkasse nicht einverstanden sind, so legen Sie zwingend Widerspruch ein. Nur so sichern Sie Ihre Rechtsposition.

Sie müssen den Widerspruch innerhalb eines Monats einlegen. Die Frist beginnt an dem Tag, an dem Ihnen der Bescheid zugestellt wurde.

Fehlt bei dem Bescheid die Rechtsbehelfsbelehrung oder ist diese unvollständig beziehungsweise unrichtig, verlängert sich die Widerspruchsfrist auf ein Jahr.

Es ist Sorge dafür zu tragen, dass der Widerspruch fristgerecht bei der Behörde eingeht. Achten Sie darauf, dass Sie den Zugang bei der Behörde auch belegen können. Wenn Sie Ihren Widerspruch mit der Post schicken, sollten Sie dies per Einschreiben tun. Falls Sie Ihr Widerspruchsschreiben persönlich bei der Behörde abgeben, lassen Sie sich den Empfang quittieren. Bei einem zur Niederschrift der Behörde eingelegten Widerspruch lassen Sie sich eine Kopie der Niederschrift geben.

Ebenso sieht das Gesetz vor, dass Sie Ihren Widerspruch auch in elektronischer Form erheben können. Dies gilt aber nur, wenn die Ausgangsbehörde dafür einen Zugang eröffnet. Außerdem müssen Sie bei der Einlegung des Widerspruchs die speziellen Vorschriften über die elektronische Kommunikation mit Behörden beachten.

Eine einfache E-Mail genügt nicht der Schriftform!

Ein Muster für einen Widerspruch finden Sie in unserem Download-Bereich.

Alle Angaben ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit.

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