Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen - Befangenheitsantrag

Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen - Befangenheitsantrag

Ist der Sachverständige nicht befangen?

 

Auf die gerichtliche Auswahl des Gutachters hat weder der Kläger/die Klägerin noch deren Rechtsbeistand eine Möglichkeit der Einflussnahme. Bei den Gerichten sind Gutacherlisten hinterlegt, aus denen die zuständigen Richter auswählen. Nur bei sehr seltenen und außergewöhnlichen Krankheitsbildern fragt das Gericht an, ob ggf. ein Gutachter für diese Erkrankung bekannt ist.

Die Auswahl des Gerichts sollte überprüft werden. Ist z.B. deutlich, dass dieser Sachverständige häufiger für die Gegenseite tätig ist, so kann die Besorgnis der Befangenheit gegebenen. Gleiches gilt aber auch, wenn z.B. die Klägerin/der Kläger persönlich mit dem Sachverständigen bekannt ist und dieser Umstand nicht mitgeteilt wird.

Eine weitere Besorgnis der Befangenheit kann durch die eigentliche Begutachtung erfolgen. Bei medizinischen Gutachten lädt der Gutachter zu einem persönlichen Untersuchungstermin ein. Bei diesem Termin sind die Betroffenen oft alleine mit dem Gutachter in einem Raum. Die Anwesenheit von Dritten ist dabei nicht vorgesehen. Sollten in dieser Situation Sätze fallen wie: "Sie wollen doch nur eh nicht mehr arbeiten gehen."; "Sie simulieren doch."; "Ich glaube Ihnen kein Wort."; "Daran sind Sie doch selbst Schuld.", dann ist es zwingend ratsam, dies sofort der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt mitzuteilen. Ratsam ist es auch, eine Art Gedächnisprotokoll über den Termin bei dem Gutachter zu erstellen. Wann hat der Termin begonnen? Hat sich der Gutachter namentlich vorgestellt? Welche Untersuchungen wurden durchgeführt? Wie lange dauerte die Untersuchung? Sind abwertende Äußerungen getätigt worden? Waren weitere Beteiligte anwesend? Gab es sprachliche Barrieren? Diese Informationen sollten Sie kurzfristig der Rechtsanwältin/dem Rechtsanwalt übermitteln. So kann geprüft werden, ob ggf. schon jetzt eine Besorgnis der Befangenheit besteht.

Das erstellte Gutachten wird sodann vom Gericht übermittelt. Dann stellt sich heraus, ob der Sachverständige den Vortag aus der Klageschrift oder die Rechtsauffassung der Behörde bestätigt. Fällt das Gutachten negativ aus, so sollte dies inhaltlich geprüft werden. Es können sodann Ergänzungsfragen an den Gutachter gestellt werden und dieser muss diese vollständig beantworten.

Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.08.2021 - 17 W 16/21) hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem der Gutachter bei der Beantwortung der Ergänzungsfragen unsachlich reagiert hat. Sein Ergänzungsgutachten enthielt folgende Ausführungen :"... Der Klägerseite und RA Kanzlei...muss mitgeteilt werden, dass es unmoralisch ist, dass im Falle einer nicht ganz gleichen Meinung mit der RA Kanzlei, ... auf einmal der Gutachter nicht mehr gut genug ist oder nicht spezialisiert ist oder die entsprechende Kompetenz fehlt.". Nach dieser Äußerung lehnte die Klägerin den Gutachter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Das zuständige Landgericht folgte diesem Antrag nicht und wies den Antrag der Klägerin mit der Argumentation zurück, dass sich der Gutachter lediglich gegen den Vorwurf der mangelnden Kompetenz verteidigt habe. Dagegen richtete die Klägerin die sofortige Beschwerde. Demnach musste das OLG Frankfurt am Main über die Frage der Befangenheit entscheiden. Das OLG räumte der Beschwerde Erfolg ein und lehnte den Gutachter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. In der Begründung heißt es:

"Das Ablehnungsgesuch ist rechtzeitig gemäß § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO innerhalb der Frist zur Stellungnahme zu dem Ergänzungsgutachten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2005 – VI ZB 74/04 -, Rn. 12, juris) gestellt.

Ein Sachverständiger kann wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die vom Standpunkt einer vernünftigen Partei aus geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken. Es ist unerheblich, ob der gerichtlich beauftragte Sachverständige tatsächlich parteilich ist oder ob das Gericht etwa Zweifel an dessen Unparteilichkeit hegt. Es ist allein maßgeblich, ob für die das Ablehnungsgesuch stellende Partei der Anschein einer nicht vollständigen Unvoreingenommenheit und Objektivität besteht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – X ZR 100/05 -, Rn. 5, juris), wobei mehrere Gründe, die für sich genommen eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu rechtfertigen vermögen, in ihrer Gesamtheit die notwendige Überzeugung vermitteln können (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. Juli 2005 – 1 W 1010/05 -, Rn. 11, juris; Huber: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., Rn. 4, § 406 ZPO).

In diesem Zusammenhang können Negativäußerungen über eine Prozesspartei die Voreingenommenheit begründen (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1981 – IVa ZR 108/80 -, Rn. 19, juris); ebenso können einzelfallbezogen das Überschreiten des Gutachtenauftrags oder eine parteilastige Beweiswürdigung und das Nichtoffenbaren herangezogener Beweisunterlagen zu einer Voreingenommenheit beitragen (vgl. i. E. Scheuch in: BeckOK ZPO, Stand 1. März 2021, Rn. 24.2 ff.,

§ 406 ZPO m. w. N.). Die Besorgnis der Befangenheit kann sich zudem daraus ergeben, dass der Sachverständige auf die gegen sein Gutachten gerichtete sachliche Kritik mit abwertenden Äußerungen über die Partei, ihre Prozessbevollmächtigten oder einen Privatgutachter reagiert (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Januar 2009 – 8 W 78/08 -, Rn. 8, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 20. Januar 2010 – I-1 W 85/09 -, Rn. 4 ff., juris; KG, Beschluss vom 6. September 2007 – 12 W 52/07 -, Rn. 4 ff., juris; OLG Köln, Beschluss vom 11. Juli 2001 – 16 W 26/01 -, Rn. 5, juris).

Gemessen daran liegen für die Klägerin in der Person des Sachverständigen Gründe vor, die Anlass zur Besorgnis der Befangenheit geben.

Die Unterstellung unmoralischen Verhaltens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin verlässt vorliegend jeglichen Verfahrensbezug und stellt sich als nicht veranlasste Kränkung der Reputation des Sachverständigen dar, die begründete Zweifel zu wecken geeignet ist, der Sachverständige werde angesichts dessen den Behauptungen der Klägerin nicht mehr unvoreingenommen entgegentreten, mag der Sachverständige auch in dem Gutachten und seiner Stellungnahme zu dem Befangenheitsgesuch auf seine Objektivität verweisen. Entscheidend ist nicht, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder das Gericht ihn für befangen hält, sondern allein wie sich sein Verhalten aus Sicht der Klägerin darstellt. Dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin den Sachverständigen in anderen Verfahren als Privatgutachter eingebunden und als objektiv und kompetent beschrieben haben, rechtfertigt keineswegs eine – aus Sicht des Sachverständigen wohl unterstellte – Pflicht zur kritiklosen Hinnahme seiner Bewertungen in dem vorliegend maßgeblichen verfahrensbezogenen Gutachten. Das Verhalten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wegen deren kritischer Stellungnahme als unmoralisch zu bezeichnen, entfernt sich von einer verfahrensbezogenen, die Förmlichkeiten des dem erfahrenen Sachverständigen bekannten zivilprozessualen Verfahrens wahrenden Reaktion.

Zwar ist nicht zu beanstanden, wenn sich der Sachverständige gegen unsachliche und unangemessene Kritik einer Partei mit drastischen Ausführungen erwehrt (vgl. Scheuch, aaO, Rn. 24.5 m. w. N.). Diese Reaktion hat die Partei hinzunehmen.

Darum geht es vorliegend indessen nicht.

Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an dem (Erst-)Gutachten geübte Kritik wahrt die Sachlichkeit. Die Bewertungen des Sachverständigen werden mit Blick auf die Implantation der Kappenprothese und die Befunderhebung unter Heranziehung der Bewertungen der Privatgutachter bezweifelt, ohne dass etwa die Objektivität oder Kompetenz dem Sachverständigen abgesprochen wird. Im Gegenteil wird betont, dass der Sachverständige als objektiver Gutachter geschätzt werde. Mit Blick darauf stellt sich die Reaktion des Sachverständigen umso mehr als nicht mehr gerechtfertigt und verfahrensfremd dar."

 

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