Corona-Infektion: Arbeitsunfall, Berufskrankheit - greift die gesetzliche Unfallversicherung?

Corona-Infektion: Arbeitsunfall, Berufskrankheit - greift die gesetzliche Unfallversicherung?

Corona-Infektion: Arbeitsunfall, Berufskrankheit?

 

1. Berufskrankheit

Für Versicherte im Gesundheitsdienst, der Wohlfahrtsoglege und der Laboratorien kommt primär bei einer Infektion die Berufskrankheit in Frage.

Ermächtigungsgrundlage für die Bezeichnung von Berufskrankheiten ist § 9 Abs 1 SGB VII. Danach sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen (Satz 2).

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-Berufskrankheit im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf bei einzelnen Listen-Berufskrankheiten einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-Berufskrankheit (vgl BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 9/08 R). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" iS des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 15; BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 ff) .

Der Verordnungsgeber hat die BK 3101 wie folgt bezeichnet: "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war". Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes dürften bei Krankenschwestern, Ärzten, Pflegern und ählichen Berufsgruppen erfüllt sein. Diese Berufsgruppen sind nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert. Der Coronavirus SARS-CoV-2  ist eine Infektionskrankheit. Diese Berufgsgruppen sind auch "Einwirkungen" ausgesetzt, die im Falle der BK 3101 in einer besonders erhöhten Infektionsgefahr bestehen (dazu 1.). Diese beurteilt sich nach dem Grad der Durchseuchung des versicherten Tätigkeitsbereichs und dem Übertragungsrisiko der im Gefahrenbereich vorgenommenen Verrichtungen (dazu 2.). Die besonders erhöhte Infektionsgefahr kann anhand von Tätigkeitsporifilen ermittelt und belegt werden.

Die Listen-Berugskrankheiten sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass Versicherte über einen längeren Zeitraum schädigenden Einwirkungen ausgesetzt sind und erst diese längerfristige Belastung zu der Erkrankung führt. Bei der BK 3101 besteht hingegen die Besonderheit, dass die schädliche Einwirkung, also der Ansteckungsvorgang, bei dem die Krankheit übertragen wurde, ein einmaliges, punktuelles Ereignis darstellt, das häufig im Nachhinein nicht mehr ermittelt werden kann. Meistens sind verschiedene Infektionsquellen und Übertragungswege denkbar, ohne dass sich feststellen lässt, bei welcher Verrichtung es tatsächlich zu der Ansteckung gekommen ist. Gerade aus diesem Grund sind Infektionskrankheiten, deren auslösendes Ereignis - die einmalige Ansteckung - an sich eher die Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllt, als BK bezeichnet worden (BSG vom 21. März 2006 - B 2 U 19/05 R - Juris RdNr 15 mwN) . Um den Nachweisschwierigkeiten zu begegnen, genügt bei der BK 3101 als "Einwirkungen" iS des § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII, dass der Versicherte einer der versicherten Tätigkeit innewohnenden "Infektionsgefahr besonders ausgesetzt" war.

Eine erhöhte Ansteckungsgefahr ist bei Versicherten anzunehmen, die aufgrund ihrer Tätigkeit oder ihres Arbeitsumfeldes einer Infektionsgefahr in besonderem Maße ausgesetzt sind. Die besondere Infektionsgefahr kann sich im Einzelfall aufgrund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit oder der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ergeben.

Das weitere Kriterium der mit der versicherten Tätigkeit verbundenen Übertragungsgefahr richtet sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen. Der spezifische Übertragungsweg eines bestimmten Krankheitserregers ist unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und ggf technischer Sachkunde dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu entnehmen. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (vgl BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 20). Daneben sind die individuellen Arbeitsvorgänge zu beachten. Da für die Anerkennung der BK 3101 nicht eine schlichte Infektionsgefahr genügt, sondern eine (zT typisierend nach Tätigkeitsbereichen) besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt wird (§ 9 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII) , kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind.

Die Durchseuchung des Arbeitsumfeldes auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. An den Grad der Durchseuchung können umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen sind. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet sind, umso mehr gelangt das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung. Allerdings muss zumindest die Möglichkeit einer Infektion bestehen. Ist das nicht der Fall, weil zB trotz eines hohen Durchseuchungsgrades die Art der konkret ausgeübten Tätigkeit einen Infektionsvorgang ausschließt, ist für die Annahme einer Gefahr von vornherein kein Raum. Kommt indes eine Infektion in Betracht, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung der Durchseuchung und der Übertragungsgefahr festzustellen, ob sich im Einzelfall eine Infektionsgefahr ergibt, die nicht nur geringfügig erhöht ist (vgl hierzu BSG vom 30. Mai 1988 - 2 RU 33/87 - NZA 1988, 823, 824) , sondern in besonderem Maße über der Infektionsgefahr in der Gesamtbevölkerung liegt. Dabei legt der Nachweis einer infizierten Kontaktperson bei gleichzeitiger übertragungsgefährdender Tätigkeit das Vorliegen einer besonders erhöhten Infektionsgefahr nahe. Zwingend ist dieser Schluss aber nicht.

Entscheidend ist immer die Gesamtwürdigung der das Arbeitsumfeld und die versicherte Tätigkeit betreffenden beiden Risikobereiche unter Berücksichtigung des spezifischen Übertragungsmodus und Verbreitungsgrades der jeweiligen Infektionskrankheit. Dabei können die in der fachwissenschaftlichen Literatur für die Beurteilung der Übertragungsgefahr ausgearbeiteten Schemata (vgl Remé, Arbeitsmedizinische Grundlagen für die Konkretisierung von Beweiserleichterungen im Berufskrankheitenfeststellungsverfahren - Fallgruppen und Einzelfallermittlun- gen, in Selmair/Manns, Virushepatitis als Berufskrankheit, 2. Aufl, S 188 f; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl, S 782 f; Mehrtens/Brandenburg, aaO, 12) herangezogen werden, sofern sie sich auf dem neuesten Stand befinden. Ihnen kommt indes keinerlei rechtliche Verbindlichkeit zu und sie ersetzen nicht die Ermittlung der erhöhten Infektionsgefahr anhand der Umstände des zu beurteilenden konkreten Einzelfalles.

Dabei dürfte auch enstschiedend sein, ob die Mitarbeiter mit hinreichnder Schutzkleidung ausgesatttet waren oder nicht. Auch die Anzahl der infizieten Kollgen udn Patienten wird relevant sein.

2. Arbeitsunfall

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Demnach kann eine Infektion als Arbeitsunfall gewertet werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Infektion während der Ausübung einer versicherten Tätigkeit erfolgt ist und zu einem Gesundheitsschaden oder Tod des Versicherten geführt hat.

 

Es gilt daher zwingend anzuraten, bei einer Infektion bei der gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls zu beantragen, wenn denn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Infektion während einer versicherten Tätigkeit erfolgt ist. Sollte die gesetzliche Unfallversicherung dies ablehnen, so muss sollte Rechtsmittel eingelegt werden.

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Expertentipp

Wenn Sie mit einer Entscheidung einer Behörde oder einer Krankenkasse nicht einverstanden sind, so legen Sie zwingend Widerspruch ein. Nur so sichern Sie Ihre Rechtsposition.

Sie müssen den Widerspruch innerhalb eines Monats einlegen. Die Frist beginnt an dem Tag, an dem Ihnen der Bescheid zugestellt wurde.

Fehlt bei dem Bescheid die Rechtsbehelfsbelehrung oder ist diese unvollständig beziehungsweise unrichtig, verlängert sich die Widerspruchsfrist auf ein Jahr.

Es ist Sorge dafür zu tragen, dass der Widerspruch fristgerecht bei der Behörde eingeht. Achten Sie darauf, dass Sie den Zugang bei der Behörde auch belegen können. Wenn Sie Ihren Widerspruch mit der Post schicken, sollten Sie dies per Einschreiben tun. Falls Sie Ihr Widerspruchsschreiben persönlich bei der Behörde abgeben, lassen Sie sich den Empfang quittieren. Bei einem zur Niederschrift der Behörde eingelegten Widerspruch lassen Sie sich eine Kopie der Niederschrift geben.

Ebenso sieht das Gesetz vor, dass Sie Ihren Widerspruch auch in elektronischer Form erheben können. Dies gilt aber nur, wenn die Ausgangsbehörde dafür einen Zugang eröffnet. Außerdem müssen Sie bei der Einlegung des Widerspruchs die speziellen Vorschriften über die elektronische Kommunikation mit Behörden beachten.

Eine einfache E-Mail genügt nicht der Schriftform!

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