Blindengeld auch für Rentner im EU-Ausland

Blindengeld auch für Rentner im EU-Ausland

Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X

 

Das BSG hat am 10.06.2021 über folgenden Sachverhalt entschieden: Die erblindete Klägerin wohnte in Sachsen, bis sie vor mehreren Jahren nach Österreich verzog. Sie bezieht Altersrente aus Deutschland und ist auch weiterhin in Deutschland krankenversichert. Sie beantragte Leistungen nach dem Sächsischen Landesblindengesetz (LBlindG). Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, es fehle der Klägerin an einem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Sachsen. Nachdem sich die Klägerin erfolglos bemüht hatte, in Österreich nach dortigem Recht Pflegegeld für Blinde zu erhalten, beantragte sie beim Beklagten die Überprüfung seiner ablehnenden Entscheidung. Sie verwies darauf, dass das zuständige Gericht in Österreich unter Heranziehung der unionsrechtlichen Vorgaben zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO EG Nr. 883/2004) die Zuständigkeit für die Gewährung von Blindengeld bei der Bundesrepublik Deutschland gesehen habe.

 

Ein Überprüfungsantrag, auch Antrag auf Neufeststellung oder Zugunstenverfahren gemäß § 44 SGB X bietet im deutschen Sozialrecht die Möglichkeit, nicht begünstigende Verwaltungsakte auch noch nach Eintritt der Bestandskraft in einem neuen Verwaltungsverfahren überprüfen zu lassen. Es ist mithin ein Rechtsmittel, welches genutzt werden kann, wenn die Rechtsmittelfrist für einen Widerspruch schon abgelaufen ist. Grundsätzlich liegt die Frist für einen Überprüfungsantrag bei 4 Jahren. Bei Leistungen nach dem SGB II gibt es gesonderte Regelungen.Die gegen die erneute Ablehnung erhobene Klage haben die Vorinstanzen abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG angeführt, die allgemeinen Kollisionsregelungen der VO sähen für Rentner die Zuständigkeit des Wohnmitgliedstaats vor. Im Falle der Klägerin sei dies Österreich.Die Klägerin legte Revision beim BSG ein. Sie rügte die Verletzung des § 1 Abs. 1 LBlindG iVm VO (EG) Nr. 883/2004. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergebe sich, dass das Landesblindengeld eine Geldleistung bei Krankheit sei. Für solche Leistungen gebe es Sonderregelungen in der VO vor. Danach dürfe der Anspruch auf Blindengeld nicht vom Wohnort des Berechtigten abhängen. Vielmehr müsse der Beklagte ihr Blindengeld gewähren, weil sie in Deutschland krankenversichert sei (vgl. Art 7, 29 VO EG Nr. 883/2004).

 

Vorinstanzen: Sozialgericht Chemnitz - S 16 BL 8/18, 01.08.2018
Sächsisches Landessozialgericht - L 9 BL 1/18, 10.10.2019

 

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

"Die hochgradig sehschwache und später erblindete Klägerin hat einen Anspruch auf Leistungen nach dem Sächsischen Landesblindengeldgesetz (LBlindG). Trotz der Verlegung des Wohnsitzes von Sachsen nach Österreich ist nach der VO (EG) Nr. 883/2004 weiterhin deutsches und insoweit sächsisches (Landes-) Recht anwendbar.Die Leistungen wegen Blindheit sind nach der VO (EG) Nr. 883/2004 als Geldleistungen bei Krankheit zu qualifizieren, die grundsätzlich grenzüberschreitend exportierbar sind (vgl. zur Vorgängerregelung VO EWG Nr. 1408/71 EuGH Urteil vom 05.05.2011 - Kommission/Bundesrepublik Deutschland - C-206/11). Die Erweiterungen der VO (EG) Nr. 883/2004 für Rentner ändern an dieser Qualifizierung nichts. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten koordiniert die VO im Bereich der sozialen Sicherheit innerhalb der EU das jeweils anwendbare nationale Recht in der Weise, dass Angehörige eines Mitgliedstaats nur dem Recht eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen. Das ist für Geldleistungen bei Krankheit an Rentner mit einer Rente aus einem Mitgliedstaat nicht das Recht des Wohnmitgliedstaats, sondern das des "anderen Mitgliedstaats", in dem der bei Krankheit zuständige Sachleistungskostenträger seinen Sitz hat. Hieraus ergibt sich im Falle der Klägerin, die eine deutsche Rente bezieht und bei der AOK Rheinland/Hamburg krankenversichert ist, die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und in deren Folge die Anwendbarkeit des LBlindG. Dass die Leistungen wegen Blindheit nach deutschem Recht keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung sind und dementsprechend auch nicht in die Zuständigkeit der Krankenkassen fallen, ist unter unionsrechtlichen Koordinierungsgesichtspunkten ohne Belang.", so das BSG.

 

Expertentipp

Wenn Sie mit einer Entscheidung einer Behörde oder einer Krankenkasse nicht einverstanden sind, so legen Sie zwingend Widerspruch ein. Nur so sichern Sie Ihre Rechtsposition.

Sie müssen den Widerspruch innerhalb eines Monats einlegen. Die Frist beginnt an dem Tag, an dem Ihnen der Bescheid zugestellt wurde.

Fehlt bei dem Bescheid die Rechtsbehelfsbelehrung oder ist diese unvollständig beziehungsweise unrichtig, verlängert sich die Widerspruchsfrist auf ein Jahr.

Es ist Sorge dafür zu tragen, dass der Widerspruch fristgerecht bei der Behörde eingeht. Achten Sie darauf, dass Sie den Zugang bei der Behörde auch belegen können. Wenn Sie Ihren Widerspruch mit der Post schicken, sollten Sie dies per Einschreiben tun. Falls Sie Ihr Widerspruchsschreiben persönlich bei der Behörde abgeben, lassen Sie sich den Empfang quittieren. Bei einem zur Niederschrift der Behörde eingelegten Widerspruch lassen Sie sich eine Kopie der Niederschrift geben.

Ebenso sieht das Gesetz vor, dass Sie Ihren Widerspruch auch in elektronischer Form erheben können. Dies gilt aber nur, wenn die Ausgangsbehörde dafür einen Zugang eröffnet. Außerdem müssen Sie bei der Einlegung des Widerspruchs die speziellen Vorschriften über die elektronische Kommunikation mit Behörden beachten.

Eine einfache E-Mail genügt nicht der Schriftform!

Ein Muster für einen Widerspruch finden Sie in unserem Download-Bereich.

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